Die Skulpturen, die Verhas anfertigt, sind beweglich. Eben nicht so, wie die klassische Statue, die statisch auf einem Platz steht. Der Künstler selbst spricht von einer Antistatue. Denn die herkömmliche Statue hat eine Standfläche, die Unterseite, die der Betrachter nicht zu sehen bekommt. „Wenn man die Statue jedoch in Bewegung setzt, können alle Seiten ansichtig werden“, erläutert der in Berlin lebende Verhas.
Er geht auf ein Exponat zu, den großen „Rollkörper Nr. 1“, die ursprünglichste seiner Arbeiten. Verhas beschäftigt sich seit nunmehr 35 Jahren mit Rollkörpern. Um das Material beim Berühren zu schonen – er arbeitet hauptsächlich mit Aluminium, Bronze und Holz – zieht er sich Handschuhe über. Dann setzt er mit einem sachten Schubs den „Rollkörper Nr. 1“ in Bewegung. In einer geschwungenen Bahn gleitet der über den Boden. Die Rollkörper bewegen sich federleicht, und weil sie nur auf zwei Punkten liegen, erzeugen sie keine Reibung.
Mal ganz abgesehen von dem physikalischen Effekt der Rollkörper, sind sie zudem wunderbar zu betrachten. Im Schein der gedämmten Illuminierung wirken die ästhetischen Skulpturen wie aus einem Science-Fiction-Film, wie Elemente aus einer weit vor uns liegenden Zeit. Geschwungen, rund, lebensbejahend, nicht hart und kantig, verleihen sie das Gefühl von Unendlichkeit.
Der so ausgeglichen wie seine dahingleitenden Skulpturen wirkende Künstler verleiht ihnen Namen, die, wie er hinzufügt, nicht immer ganz ernst gemeint sind. Da gibt es etwa den „Turner“, benannt nach dem Künstler William Turner. „To turn“ bedeutet im Englischen aber zugleich auch „drehen“. Der Rollkörper „Kings Head“ lässt sich mit dem Helm eines griechischen Kriegers assoziieren und das Objekt „Small Beaten Pillow“ soll an die geschlagenen Sofakissen der Oma erinnern, berichtet Verhas schmunzelnd.
Er selbst sagt, dass er so ein bisschen wie die Jungfrau zum Kinde auf die Idee mit den Rollkörpern gekommen sei. Er habe einfach mal mit flexiblem Material in der Hand gespielt, es geknetet, und auf einmal entstand ein Rollkörper. Aus dem Zufall entstand der Ehrgeiz, rollende Figuren zu entwickeln.
Verhas hat an zwei Akademien studiert. Zunächst in Nürnberg an der Akademie der Bildenden Künste Malerei, Grafik und figürliche Bildhauerei, wo er unter anderem Porträts modellierte, später dann in Berlin an der Hochschule der Künste, wo er abstrakte Stahlbildhauerei studierte. Dazu kamen Studienaufenthalte in Canterbury und New York.
Seine Rollkörper stellt der Künstler in Galerien aus, beispielsweise der Frankfurter Galerie Barbara Stechow oder auch der Galerie Friedmann-Hahn in Berlin. Unlängst waren seine Arbeiten auch in Ascona in der Schweiz zu sehen. Seine Ausstellung in Mörfelden-Walldorf beruht auf seiner Preisträgerschaft für die Ausstellung im Skulpturenpark der Kommunalen Galerie im vergangenen Jahr. Den Preisträgern wird eine Einzelausstellung zugesagt.
Zum Bedauern der Kommunalen Galerie war die Vernissage am Mittwoch vergangener Woche nicht gut besucht. Die Galerie habe die Ausstellung eigentlich am Totensonntag eröffnen wollen, was der Künstler indessen nicht für passend gehalten habe, so Gabi Jancke. Eine Woche später zu eröffnen, hielt die Galerie indessen für einen zu großen Zeitverlust. So sollte die Ausstellung also am Mittwoch beginnen – und dieser Tag zugleich als Versuch für einen allgemeinen, neuen Vernissagetag gelten. Allerdings hätten wohl viele Begleiter der Kommunalen Galerie aus beruflichen Gründen nicht teilnehmen können.
Achim Sibeth, Dezernent für Sport und Kultur, sprach denn auch von einem kleinen Rahmen und erwähnte zudem den Wechsel vom angestammten Ausstellungsraum – der Stadthalle Walldorf – ins Bürgerhaus Mörfelden: In der Stadthalle haben Flüchtlinge eine Notunterkunft erhalten, so schnell werde die Galerie nicht mehr dorthin zurückkommen. Die Ausweichmöglichkeit fand indessen Sibeths Gefallen. „Mit dem Licht kommen die Ausstellungsstücke ausgezeichnet zur Geltung“, stellte der Dezernent fest. Ihm gefallen die Objekte ausgesprochen gut, jedes für sich erscheine in einer anderen Optik. Haiko Emmel von der Kommunalen Galerie ist indessen fasziniert von der allseitigen Ansicht der Skulpturen, die doch herkömmlich nur maximal von fünf Seiten betrachtet werden können und nicht von sechs, wie die Rollkörper.
Die Ausstellung kann mittwochs, samstags und sonntags, jeweils 15 bis 18 Uhr, besucht werden; die Finissage ist am Sonntag, 18. Dezember, ab 18 Uhr. VON RÜDIGER KOSLOWSKI
Mörfelden-Walldorf
01.12.2022